Autor: Dr. Olaf Irretier, Industrieberatung für Wärmebehandlungstechnik IBW Dr. Irretier
(Kurzfassung)
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Das Charakteristikum der Pulvermetallurgie ist die
Tatsache, daß ein Metallpulver in einer Preßform verdichtet und
anschließend einer Wärmebehandlung, dem sogenannten Sintern, unterzogen
wird. Die Sintertemperatur liegt üblicherweise unterhalb der
Schmelztemperatur der metallischen Hauptkomponente.
Großindustriell wird das Sintern in der Regel in
Durchlauföfen durchgeführt. In Lohnbetrieben und Härtereien werden
PM-Bauteile aufgrund der höheren Flexibilität jedoch überwiegend im
Chargenbetrieb behandelt. Der vorliegende Beitrag gibt einen Einblick in
die Entbinder- und Sintertechnik pulvermetallurgischer Bauteile und
stellt eine Reihe von Öfen und Anlagen für den Chargenbetrieb vor.
1. Einführung
Die Herstellung moderner pulvermetallurgisch
erzeugter Bauteile geht bis weit in das vorherige Jahrhundert zurück.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurden in Rußland Platinmünzen
pulvermetallurgisch hergestellt. Wolframdrähte für Glühlampen, die um
die Jahrhundertwende pulvermetallurgisch hergestellt wurden, stellten
damals einen großen technischen Fortschritt dar. Hartmetalle auf
Wolframkarbidbasis wurden in den 20er Jahren gesintert und wegen ihrer
den Keramiken ähnlichen Herstellungsweise lange als Metallkeramiken
bezeichnet. Große Fortschritte erlebte die Pulvermetallurgie vor allem
wieder in den 70er Jahren als das Pulverschmieden und Heißisostatische
Pressen Verbreitung fand. Auch wurden Mitte der 70er Jahre erstmals
Schnellarbeitsstähle pulvermetallurgisch hergestellt [1]. Die 80er
Jahren haben vor allem dem Metallpulverspritzguß (MIM) zum Durchbruch
verholfen.
Heute sind PM-Bauteile aus der modernen Technik
nicht mehr wegzudenken. Mit Hilfe der Pulvermetallurgie können
Werkstoffe erzeugt werden, die schmelzmetallurgisch nicht zu erreichen
sind. Die Vorteile liegen insbesondere in der geringen Anzahl an
Gefügeeinschlüssen und -texturen und in der verbesserten
Gefügehomogenität. Entwicklungen in Richtung höherer Bauteilkomplexität
wie beim Metallpulverpritzguß, machen die Pulvermetallurgie zum
Wettbewerber des Gießens.
2. Werkstoffe und Bauteile der Pulvermetallurgie
Die Einsatzgebiete pulvermetallurgisch erzeugter
Bauteile erstrecken sich durch die gesamte Technik. Herauszuheben sind
vor allem Anwendungen im Fahrzeugbau, in Haushalts- und Elektrogeräten,
im Maschinenbau und in Büromaschinen. PM-Teile werden auch aufgrund
ihrer porösen Struktur als Filter zum Trennen von Flüssigkeiten oder als
Drossel für Strömungen eingesetzt. Als Gleitlager, Ventilringe oder
Nocken finden sie im Motorenbau Einsatz. Zahnräder, Schaltgabeln und
Synchronringe werden als PM-Teile im Getriebe eingesetzt. Tellerräder
und Kupplungen finden in Elektrowerkzeugen Verwendung.
Stähle, die mit Cu, Ni, Mo, P und C legiert sind,
finden als pulvermetallurgische Werkstoffe die breiteste technische
Anwendung. Als Nichteisenwerkstoffe haben sich vor allem Bronzen,
Kupfer- und Messing in der PM bewährt. Al-PM-Bauteile werden in der
Regel mit CuMg und SiMg legiert.
3. Sintern von PM-Bauteilen
Sintern ist eine Wärmebehandlungsform, die unterhalb
des Schmelzpunktes des Matrixwerkstoffes durchgeführt wird. Beim
Sintern wachsen die Pulverpartikeln durch Diffusion und Kriechvorgänge
zu einem Gerüst von Kristallen zusammen und geben dem Preßkörper seine
gewünschte Bauteilfestigkeit.
Zum Sintern von PM-Stählen werden Temperaturen
zwischen 1100 und 1250 °C gewählt. Nichteisenmetalle, wie Sinterbronze,
-messing oder –aluminium werden aufgrund des niedrigeren Schmelzpunktes
bei deutlich tieferen Temperaturen gesintert.
Bei Sintertemperaturen oberhalb des Schmelzpunktes
spricht man von Flüssigphasensinterung. Bei bestimmten Stählen
(Schnellarbeitsstähle) wird bei genauer Temperaturführung die
Flüssigphase über längere Zeit aufrechterhalten. Dadurch kommt es zu
einer Umlagerung und zu einer weiteren Verdichtung des Gefüges. Beim
Flüssigphasensintern ist darauf zu achten, daß durch die große
Schwindung kein Verzug der Preßteile auftritt.
Zum Erreichen einer Dichte bei Stählen von 7,3 bis
7,6 g/cm³ werden Teile oftmals zweifachgesintert. Bei Temperatur
zwischen 800 und 900°C findet zunächst ein Vorsintern statt. Dabei
werden die für ein anschließendes Zwischenpressen störenden
Kaltverfestigungen abgebaut. Abschließend werden die Teile
fertiggesintert.
3.1 Entbindern und Sintern bis 750°C
Gasdichte Wärmebehandlungsanlagen mit Umluftbetrieb
und Schutzgasspülung werden eingesetzt, um ein oxidations- und
entkohlungsfreies Entbindern und Sintern von Bauteilen zu ermöglichen.
Zum Schutz gegen Oberflächenreaktionen werden inerte Gasen wie
Stickstoff und Argon oder reduzierende Gase eingesetzt, wenn eine
Entkohlung des Stahles vermieden werden soll.
Schutzgas-Luftumwälzöfen können als Mehrzweckanlagen
für eine Vielzahl von Wärmebehandlungen bis 750 °C eingesetzt werden.
So können nicht nur Bronzeteile bei diesen Temperaturen entbindert und
gesintert werden, sondern auch PM-Stähle und Nichteisenwerkstoffe einer
Glüh- und Anlassbehandlung nach dem Härten unterzogen werden.
Größere PM-Chargen werden vielfach in Schachtöfen
mit hydraulischer Hubeinrichtung unter Schutzgas entbindert oder
gesintert. Schachtofen weisen aufgrund ihrer Geometrie eine sehr gute
Temperaturverteilung von besser ± 3°C auf. Eine optimale Luftumwälzung
ist in der gasdichten Retorte des Schachtofens durch einen
Luftleitzylinder garantiert.
Für Entbinderungsprozesse bei Temperaturen bis 700°C
können diese Öfen mit einer speziellen Abgasreinigungsanlage
ausgestattet werden. Die bei solchen Prozessen auftretenden
Kohlenwasserstoffe (PVA, PEG, Polyglycol, Glycerin, etc.) werden in
einem Katalysator thermisch in Kohlendioxid und Wasser zersetzt. Dem
Katalysator ist ein Kondensators vorgeschaltet, der zu einer
Verflüssigung und Separation der hochsiedenden Komponenten im Abgasstrom
führt.
3.2 Vakuum- und Schutzgassintern bis 1200°C
Das Sintern unlegierter Eisenwerkstoffe und
Nichtmetallsinterwerkstoffe wie Messing und Aluminium wird unter Vakuum-
oder Schutzgasbedingungen bis 850°C durchgeführt. Aufgrund der relativ
hohen Investitionskosten ist die Vakuum-Sintertechnik nur für große
Betriebe mit großen Fertigungsstückzahlen interessant. Der vakuumdichte
Ofen in Bild 5 bietet Betrieben und Forschungsinstituten mit kleinem und
mittlerem Volumen eine Möglichkeit PM-Bauteile kostengünstig im Vakuum
oder unter Schutzgas zu sintern. Mit Hilfe einer verfahrbaren Kammer
können die Bauteile nach dem Sintern unter Schutzgaszufuhr aus dem Ofen
herausgefahren und schnellstmöglich abgekühlt werden.
Zum Sintern von Legierungen bis 1200 °C werden auch
vielfach Haubenöfen eingesetzt, die einen Betrieb von Hochvakuum bis
Atmosphärendruck erlauben. Die Beschickung des in Bild 6 dargestellten
Ofens kann über die absenkbare Bodenplatte realisiert werden. Durch
Senken des Bodens, ist außerdem eine schnelle Abkühlung zum
Chargenwechsel möglich. Die Temperaturverteilung innerhalb des
Nutzraumes kann mit vertretbarem Aufwand bis zu ± 1 K zu erreichen.
3.3 Vakuum- und Schutzgassintern bis 1600°C
Das Sintern von Hartmetallen als Schneidwerkstoffe
bei Temperaturen zwischen 1400 bis 1600°C ermöglicht der doppelwandige
Ofen in Bild 7, der für den Hochvakuumbetrieb mit Molybdän-Heizelementen
und einer Molybdän-Strahlblechisolierung ausgeführt ist. Der Ofen ist
mit Sicherheitseinrichtungen wie Türverriegelung über Magnetschalter,
Wasserdurchfluß- und Temperaturüberwachung, Drucküberwachung und
Alarmabschaltung ausgestattet.
3.4 Vakuum- und Schutzgassintern bis 3000°C
Hauben- oder Kammeröfen mit Graphitheizung und
–isolierung können unter Schutzgas bis 3000°C zum Sintern
hochschmelzender Metalle (z.B. Molybdän, Wolfram) und Keramiken
eingesetzt werden. Der in Bild 8 dargestellte Ofen wird zum Sintern
nitridischer Bauteile bei Temperaturen bis 2400 °C verwandt. Beim
Aufheizen auf Prozeßtemperatur werden organische Restbinder aus den
Bauteilen ausgetrieben, die in einer dafür vorgesehenen Kühlfalle vor
dem Gasausgang kondensiert werden. Die Anlage ist bis zu einem Druck von
10-4 mbar ausgelegt.
3.5 Drucksintern bis 2200°C
Zum Drucksintern hochschmelzender Metalle (z.B.
Molybdän) oder Nitride bis 2200°C werden Kammeröfen mit Graphiteinbauten
eingesetzt. Das bei hohen Temperaturen instabile Siliziumnitrid kann
bei erhöhten Drücken und Temperaturen von 1750 bis 1780 °C gesintert
werden. Der in Bild 9 dargestellte Drucksinterofen für den Laborbetrieb
erfüllt diese Spezifikation. Er kann unter Vakuum bis 1800°C und unter
Argon bis 2200°C betrieben werden und ist für einen Bereich von 0,1 bar
bis 40 bar ausgelegt.
3.7 Katalytisches Entbindern und Sintern von MIM-Bauteilen
Ziel der MIM-Technik ist die Herstellung
endformnaher komplexer Bauteile. Der MIM-Spritzguß verbindet dabei die
Formgebungsmöglichkeiten des Kunststoffspritzguß mit denen der
Pulvermetallurgie. Beim Metallpulverspritzguß (MIM) wird ein
Metallpulver mit einem Binder zu einer homogenen Mischung verarbeitet
und verspritzt. Der Binder hat nach dem Spritzgießen seine Aufgabe
erfüllt und wird während der Entbinderung entfernt. Die Festigkeit
erhalten die Bauteile in einem abschließenden Sinterprozeß.
Bei der katalytischen Entbinderung wird gasförmige Salpetersäure, HNO3,
als Katalysator dem Trägergas Stickstoff beigemengt. Durch den
Katalysator werden die langkettigen Bindermoleküle leichter
aufgespalten, die direkt in den gasförmigen Zustand übergehen und mit
dem Trägergas ausgetragen werden. Die katalytische Entbinderung läuft
bis zu zwanzig mal schneller ab als konventionelle thermische
Entbinderungen. Im anschließenden Sinterprozeß wird das Bauteil unter
neutraler bzw. reduzierender Ofenatmosphäre zu einem kompakten
metallischen Bauteil verdichtet. Durch Verwendung von Wasserstoff
während des Sintervorganges, werden die Bauteile vom Kohlenstoff befreit
[5].
Für die katalytische Entbinderung ist eine spezielle
Anlagentechnik nötig. Um eine zündfähige Atmosphäre zu vermeiden wird
der Ofen während des Aufheizens mit Stickstoff gespült. Bei Erreichen
der Prozeßtemperatur, wird der Katalysator zudosiert. Katalytische
Entbinderungen werden bei konstanter Temperatur durchgeführt. Das Abgas
wird in einer Fackel mit Luftüberschuß verbrannt. (Bild 11).
4. Glühen und Härten von PM-Teilen
In gleicher Weise wie das Glühen und Härten von
Stählen und Gußbauteilen der Verbesserung der Festigkeitseigenschaften
dient, können auch pulvermetallurgisch erzeugte Bauteile diesen
Wärmebehandlungen unterzogen werden. Zur Verbesserung der
Festigkeitseigenschaften werden PM-Stähle in der Regel einsatzgehärtet
bzw. carbonitriert (siehe Bild 12). Die Aufkohlungstemperaturen liegen
zwischen 800 und 900°C. Bei diesen Wärmebehandlungsverfahren gilt es
jedoch die eingeschlossenen Poren zu berücksichtigen. So können sowohl
die Wärmebehandlungsgase als auch deren Zersetzungsprodukte über die
“innere” Oberfläche (Poren) in das Bauteil eindringen. Geschlossene,
nicht zur Oberfläche geöffnete Poren sind dabei unwirksam.
Verunreinigungen (Rückstände aus
Bearbeitungshilfsstoffen, Reinigern, Kalibrieröl, etc) aus
vorrangegangenen Arbeitsschritten bei der Herstellung von PM-Bauteilen
können für eine Wärmebehandlung störend wirken. Durch Verdampfen dieser
Verunreinigungen unter Wärmebehandlungsbedingungen kann die
Ofenatmosphäre stark beeinflußt werden. Eine der Wärmebehandlung
vorgeschobene Reinigung sollte daher gründlich durchgeführt werden.
5. Zusammenfassung
Die pulvermetallurgische Verarbeitung endformnaher
Bauteile mit hoher Oberflächengüte hat gerade in den letzten Jahren
einen erheblichen Zuwachs erreicht. Der wirtschaftlichen Fertigung
dieser Teile kommt dabei eine besondere Aufmerksamkeit zu. Bei
Herstellungsverfahren, die aus eben wirtschaftlichen Gründen ohne
Nachverdichten arbeiten, stellt das Entbindern- und Sintern den
abschließenden Verfahrensschritt dar und muß nicht zuletzt aus diesem
Grund mit hoher Präzision durchgeführt werden.
Sowohl für die Entbinder- und Sintertechnik als auch
für das Glühen und Härten pulvermetallurgischer Teile stellen die
Unternehmen Nabertherm und Gero Hochtemperaturöfen eine Vielzahl an
Ofen- und Anlagenkonzepten für den Chargenbetrieb zur Verfügung.
6. Literatur
[1] H. Silbereisen:
Zur Geschichte der Sinterstahlfertigung in Deutschland
PMI 16 (1984), S. 65-69 und S. 138-144
[2] O. Irretier, et. al:
Wirtschaftlichkeit erhöhen beim Metallspritzen
Maschinenmarkt 103 (1997)44, S. 48-51
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